DER ANGST INS AUGE SEHEN
Die Zeit nach der Geburt war ehrlich gesagt eine meiner größten Ängste, als ich Mutter wurde. Ich hab in meiner Kletterkarriere schon so einige Verletzungen mitgenommen – dank Überbeweglichkeit und weil ich nicht immer früh genug die richtige Hilfe bekommen hab. Und tief in mir drin glaube ich oft, dass mein Körper einfach nicht von Natur aus besonders widerstandsfähig ist. Ich hatte schon die wildesten Geschichten gehört: Frauen, deren Rumpfmuskulatur komplett im Eimer war, Hüften, die nicht mehr richtig saßen, und die Jahre nach der Geburt noch mit Inkontinenz zu kämpfen hatten. Die Vorstellung, einen Kaiserschnitt zu bekommen – aufgeschnitten zu werden und dann mit einer fetten Narbe dazustehen – hat mir echt Angst gemacht. Ein paar Freundinnen von mir haben sich nach dem Kaiserschnitt gut erholt und sind sogar wieder richtig hart geklettert, aber die meisten „Lady Crusher“-Storys, die ich kannte, kamen von natürlichen Geburten. Ich hatte echt Bammel, dass ein Kaiserschnitt es mir noch schwerer machen würde, wieder an die Kletterausrüstung zu gehen.
Obwohl ich mich gut auf die Geburt vorbereitet und richtig selbstbewusst gefühlt habe, endete alles doch mit einem Notkaiserschnitt. Im Moment selbst war ich total positiv drauf – das Team im Krankenhaus war einfach großartig, und als ich meine Tochter zum ersten Mal gesehen habe, war alles andere egal. Aber zu Hause kam dann der Hormonabsturz, die Betäubung ließ nach, und plötzlich war da nur noch Panik. Habe ich meinen Körper ruiniert? Wann kann ich endlich wieder klettern gehen und meine Kletterausrüstung auspacken?
Zwei Geschichten – keine davon trifft es ganz.
In der Zeit nach der Geburt begegnen dir meist zwei Geschichten:
• Die Pause-zum-Verbinden-Option:
Hier kannst du dich zurücklehnen, das Oxytocin genießen, deinem Baby ganz nah sein und deinem Körper die Zeit geben, die er zum Heilen braucht. Diese Phase wird oft als das vierte Trimester bezeichnet – eine natürliche Fortsetzung der Schwangerschaft und des Matreszenz-Prozesses (dem Hineinwachsen in die Rolle als Mutter). Es ist ein bewusster Gegenentwurf zum gesellschaftlichen Druck, nach der Geburt möglichst schnell wieder „in Form“ zu kommen oder „zurückzuspringen“.
• Die Comeback-Story
Du sollst bitteschön wieder in deinen alten Körper zurückfinden, deine Identität zurückerobern und beweisen, dass das Muttersein dich nicht verändert hat. Genau das war bis vor Kurzem noch die gängige Erwartung.
Aus so vielen Gründen hat mich diese Geschichte vom Ausruhen und Verbinden total angesprochen. Es fühlte sich an wie ein fettes „Fuck you“ an all die unrealistischen Erwartungen, die an Frauen gestellt werden – und endlich mal die Anerkennung, wie krass eine Geburt den Körper verändert. Ich hab mich voll darauf eingelassen, das Tempo rauszunehmen, mit meinem Baby zu connecten und mich auf diese neue Version von mir und meinem Körper einzulassen.
"Aber dann kam Aliette – und ziemlich schnell hab ich gemerkt, dass diese Herangehensweise für mich einfach nicht funktioniert."
Ich wollte wieder klettern gehen. Nicht aus Angst, nicht weil ich musste, sondern weil es einfach meine Leidenschaft ist – und immer ein Teil meines Lebens bleiben soll. Gegen Ende der Schwangerschaft war ich zwar noch am Fels, aber es war einfach anders. Ich wollte mich wieder so bewegen, wie es sich für mich richtig anfühlt.
Zweitens: Eine Geburt ist wie jede andere körperliche Herausforderung – sie braucht aktive Erholung. Es gibt kein „schnelles Zurück“ – und du kannst dich da auch nicht einfach nur ausruhen. Du musst dich wirklich wieder aufbauen. Und das bedeutet: Erholung und Einsatz. Also habe ich versucht, die Balance zwischen diesen beiden Seiten zu finden. Es ging nicht nur ums Ausruhen. Und auch nicht nur darum, sofort wieder voll durchzustarten.
Heilung braucht Einsatz
Die ersten Tage waren echt hart. Ohne Hilfe kam ich nicht mal vom Sofa hoch. Stillen tat weh. Mein Partner hat ein Seil am Bett befestigt, damit ich mich nachts zum Füttern unserer Tochter hochziehen konnte. Eine Woche nach der Geburt fühlte sich selbst ein Spaziergang von ein paar hundert Metern wie eine Expedition an. Mein Core? Komplett matschig. An einer Stange hängen – geschweige denn Klimmzüge machen – war unvorstellbar. Die erste Übung, die mir meine Postpartum-Trainerin Joy Black gab, war einfach nur den Arm heben und senken – ein Latziehen ohne Gewicht. Mit Joy zu arbeiten war absolut entscheidend – nicht nur, um wieder ins Klettern einzusteigen, sondern auch, um eine Basis für langfristige Gesundheit und Selbstvertrauen zu schaffen. Atemübungen, wie schon in der Schwangerschaft, wurden wieder mein Fundament. Sie halfen mir, meinen Core neu zu spüren. Ich habe mit den kleinsten, sanftesten Bewegungen angefangen. Und Stück für Stück habe ich wieder aufgebaut.
Etwa einen Monat nach der Geburt habe ich mich das erste Mal wieder an eine Stange gehängt. Nach sechs Wochen war ich schon wieder beim Bouldern – und das sogar an einer leicht überhängenden Wand. Die Fortschritte waren einfach unglaublich – wann sonst kletterst du jede Woche einen härteren Grad? Viereinhalb Monate nach der Geburt habe ich in Albarracín einen V9 geknackt. Zur Einordnung: Mein bisher schwerster Boulder war V11. Ich war stolz – aber noch mehr war ich einfach total begeistert. Nicht wegen des Grads, sondern weil ich bei diesem Boulder endlich wieder das Gefühl hatte, ganz ich selbst zu sein. Weil Klettern wieder richtig Teil meines Lebens war. Klar, der Weg ist noch lang: Mein Core ist noch schwach, die Power fehlt, die allgemeine Fitness ist noch nicht da, und
Stillhormone machen es echt schwer, wieder Muskeln aufzubauen.
„...Aber ich komme voran – langsam, aber sicher.“
EIN PAAR PRAKTISCHE TOOLS, DIE MIR GEHOLFEN HABEN:
• Zusammenarbeit mit einer postnatalen Physio- oder Reha-Spezialistin (zum Beispiel Joy Black)
• Atemzentrierte Übungen (Zwerchfellatmung, 360°-Atmung)
• Zentrale Übungen zum Wiederverbinden mit deinem Körper (frühe Pilates-Phasen, funktionelles Krafttraining)
• Achtsamkeitsübungen (kurze Meditationen, Body-Scans, um Stress zu managen und dein Nervensystem in Balance zu bringen)
MEINE NEUE IDENTITÄT
Genau wie beim Thema Erholung gibt es auch nach der Mutterschaft zwei starke Geschichten über Identität. Bevor ich ein Kind bekommen habe, dachte ich immer, ich würde meine Identität bewahren – dass ich mir Raum für meine Arbeit und meine Leidenschaften schaffe und mich nicht komplett für die Familie aufopfere. Und in mancher Hinsicht habe ich das auch geschafft.
Aber ich verstehe auch, wie stark die andere Geschichte zieht – die, in der du dich voll und ganz deinem Baby widmest. Wo du keinen Moment verpassen willst. Wo dir klar wird, dass deine Liebe zum Klettern zwar riesig ist, aber nichts gegen das, was du für dieses kleine Wesen empfindest, das noch nicht mal sprechen kann.
Diese Geschichten blenden das echte Leben einfach aus. Sie lassen den chaotischen Alltag weg – den Spagat zwischen Job, Familie, Freundschaften, Regeneration, Kinderbetreuung (oder dem ständigen Improvisieren, wenn sie fehlt). Sie zeigen nicht, wie verdammt schwer es ist, alles wie früher zu schaffen und dabei noch ein Baby zu versorgen. Sie verschweigen, was Mutterschaft mit deinem Kopf macht – oder wie sehr dein Kind dich als Mama braucht, selbst wenn dein Partner großartig und unterstützend ist.
Jede*r kennt das: Du willst alles unter einen Hut bringen – und hast das Gefühl, nichts richtig zu machen. Du fühlst dich wie ein schlechter Elternteil, weil du einfach raus willst zum Klettern. Und als Kletterer*in hast du manchmal das Gefühl, nicht mehr richtig dabei zu sein, weil du jetzt ein Kind hast.
Und genau so hab ich mich auch schon gefühlt. Aber ich versuche, das Ganze umzudrehen und mir klarzumachen, wie verdammt viel Glück ich habe, mein Leben mit den Dingen zu füllen, die ich liebe – auch wenn es manchmal unmöglich scheint, alles unter einen Hut zu bekommen. Wie genial ist es bitte, dass ich mein Baby mit an die Boulder nehmen kann, selbst wenn sie mich beim Klettern ablenkt? Alles, was mich an meinem Kind nervt, ist gleichzeitig auch etwas, das ich wertschätzen sollte.
Manche Studien aus der Verhaltenspsychologie zeigen, dass Eltern angeben, nach der Geburt von Kindern weniger glücklich zu sein. Aber ehrlich gesagt, finde ich, dass diese Studien am Wesentlichen vorbeigehen. Sie fragen nur nach dem Glück im Moment. Was dabei völlig untergeht: Wahres Glück ist Sinn. Die Mutterschaft hat meinem Leben eine neue Bedeutung gegeben. Und auch das Klettern hat mir immer Sinn geschenkt. Ich bin einfach dankbar, dass ich beides erleben darf.
TIPPS FÜR DAS LEBEN IM GRAUEN
Das hier hat mir geholfen, meinen Weg durch dieses chaotische, wunderschöne und manchmal echt nervige Abenteuer zu finden:
1. Heilung braucht mehr als nur Pause – du brauchst auch Reha. Gönn dir Ruhe, aber nimm deine Regeneration ernst. Mach sie zur Priorität. Hör auf den Rhythmus deines Körpers.
2. Klettere aus Freude. Du hast schon genug Druck im Alltag. Lass das Klettern deine Quelle für Spaß, Freiheit und Leichtigkeit sein – kein weiterer Leistungsdruck. Und das Beste: Genau so wirst du auf lange Sicht wahrscheinlich sogar besser.
3. Gib Fortschritt eine neue Bedeutung. Manchmal ist es ein neuer Schwierigkeitsgrad beim Klettern, an anderen Tagen sind es fünf Minuten Core-Training, während das Baby schläft. Feiere jeden kleinen Erfolg.
4. Spür das schlechte Gewissen – und hör darauf. Nicht jedes Mama-Gefühl ist irrational. Manchmal ist es einfach dein Bauchgefühl. Wenn du das Gefühl hast, dass dir etwas Wichtiges entgeht, halt kurz inne und hör in dich rein. Vielleicht braucht dein Baby gerade mehr von dir – oder du mehr von ihm.
5. Gönn dir eine Pause zum Durchatmen. Du wirst nicht immer die perfekte Balance finden – und das ist völlig okay. Nimm wahr, was los ist, passe dich an und sei nachsichtig mit dir selbst.
6. Akzeptiere, dass dein Kletterleben vielleicht anders aussieht – für eine Weile oder vielleicht für immer. Das macht dich nicht weniger zum Kletterer. Vielleicht bringt es dich sogar noch näher an den Sport heran.
7. Entwickle eine Haltung von Genügsamkeit und Fülle. Du darfst dein Baby und deinen Sport lieben. Du kannst aufblühen und gleichzeitig völlig platt sein. Es ist okay, wenn du kraftvoll, sanft, müde, motiviert, überwältigt und inspiriert bist – alles auf einmal.
Du musst dich nicht für ein Lager entscheiden – die entspannte, ganz präsente Mutter oder die starke, sich selbst treu bleibende Mutter. Die Wahrheit ist: Die meisten von uns bewegen sich irgendwo dazwischen und versuchen einfach, Tag für Tag ihren eigenen Weg zu finden.
EINE EINLADUNG
An alle Mamas, die wieder klettern – langsam, mit Freude, manchmal unsicher – ich sehe euch. Wenn du nicht einfach zurückspringst, aber auch nicht aufgibst, sondern irgendwo dazwischen bist, dann weiß: Du bist nicht allein. Dieser Zwischenraum ist echt. Er ist chaotisch. Und er ist voller Kraft. Du bist Kletterin und Mama – und du rockst beides, auch wenn es sich nicht immer so anfühlt.

Über den Autor
Hazel Findlay ist Profi-Kletterin und Coach für Mindset und mentales Training. Sie ist bekannt für ihre mutigen Begehungen und dafür, Kletterern dabei zu helfen, mentale Stärke, Motivation und Selbstvertrauen zu entwickeln. Als frischgebackene Mama entdeckt Hazel weiterhin, wie Abenteuer, Identität und persönliches Wachstum zusammenhängen.